Christen und Muslime, das Wort zum Wort zum Sonntag über Brückenbauer

Lesezeit: ~ 4 Min.

Christen und Muslime, das Wort zum Wort zum Sonntag über Brückenbauer von Lissy Eichert, veröffentlicht am 22.4.2017 von ARD/daserste.de

[…] Ägypten: Ich denke an Pyramiden und Pharaonen, an unsere berühmte Nofretete in Berlin, an die Erzählungen der Bibel von Mose und seinem Zug durchs Rote Meer.

Unsere Nofretete?

[…] Die Botschaft hinter dem Grauen: Das uralte koptische Christentum soll aus Ägypten verschwinden. In den Augen der Islamisten sind Kopten „Ungläubige“, „Kreuzritter“.

Eine von vielen Errungenschaften der Säkularisierung und Aufklärung ist die Religionsfreiheit. In offenen und freien Gesellschaften mag ein jeder die Götter verehren, die ihm für wahr verkauft wurden oder die er von sich aus – aus welchen Gründen auch immer – für verehrungswürdig hält. Oder verehrungsbedürftig. Nicht, weil Götter irgendwie sinnvoll, plausibel oder wahr wären. Sondern einfach deshalb, weil die Gedanken frei sind.

Die Jahrhunderte, in denen das Christentum noch die Macht dazu hatte, führte es seinerseits einen gnadenlosen Vernichtungskrieg gegen aus ihrer Sicht Un- und Andersgläubige. Millionen von Menschen wurden verfolgt, unterdrückt, vertrieben und ermordet im Namen und vermeintlichen Auftrag des Christengottes. Wer irgendwelche Zweifel an der Kriminalgeschichte des Christentums hat, dem sei das gleichnamige 10bändige Werk zur Lektüre empfohlen.

Bedrohte und bedrohende Religionsgemeinschaften

Dabei bestätigt sich: Weltweit sind Christen die am meisten bedrohte Religionsgemeinschaft, nicht nur in Ägypten, sondern auch in Syrien, im Irak oder in der Türkei und anderswo.

Was auch nicht weiter verwundern kann. Solange es noch nicht-säkularisierte Religionen mit Missionierungsauftrag gibt, werden sich auch Zugehörige finden, die sich dazu berufen fühlen, ihren Glauben ernst zu nehmen. Und das kann dann eben auch beinhalten, Un- und Andersgläubige zu bekämpfen. Genauso wie die Christen früher, als sie noch die Macht dazu hatten.

Mich treibt es um, dass sich diese Christinnen und Christen von ihren Glaubensgeschwistern, also auch von mir, im Stich gelassen fühlen.

Wie siehts mit selbstständig Denkenden und Andersgläubigen aus, die ebenfalls wegen ihrer Weltsicht oder wegen ihres Glaubens verfolgt werden? Treibt Sie deren Schicksal auch um? Oder nur das Schicksal Ihrer Nächsten, also der Zugehörigen Ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft? Treibt Sie das Verbot der Zeugen Jehovas in Russland auch um?

Komfortable Glaubensfreiheit

Durch die Anschläge auf ägyptische Christen wurde mir einmal mehr bewusst, wie komfortabel wir hier bei uns den Glauben leben: Wir können in die Kirche gehen, ohne Todesangst haben zu müssen. Können Gottesdienst feiern und Schulen gründen. Oder auch mal in der Öffentlichkeit „Großer Gott, wir loben Dich“ singen.

Hoffentlich ist Ihnen jeden Tag bewusst, dass Sie diese komfortable Freiheit der Entmachtung Ihrer Kirche zu verdanken haben. Weil Menschen die Würde und Freiheit des Individuums über die erfundenen Machtansprüche Ihres behaupteten Gottes und derer, die sich als dessen Stellvertreter ausgaben, stellten.

Doch wenn jemand bedroht wird, frage ich nicht nach seiner Religion. Solidarisch zu sein, ist eine Frage der Haltung, des Anstands, des Charakters.

Die Menschen, die Anschläge gegen Christen durchführen, empfinden Un- und Andersglaube als Bedrohung ihrer Religion. Ist hier die gleiche Solidarität gefragt? Als Frage der Haltung, des Anstands, des Charakters? Oder sollte man hier nicht vielleicht doch etwas differenzieren?

Einmal mehr frage ich mich, welche Rolle Religionen heute überhaupt noch spielen sollten. Oder können.

Ingroup – Outgroup

Wo mir das Leid des Nächsten gleichgültig ist, da wird die Welt kalt.

Für diese Erkenntnis braucht es keine Götter. Im Gegenteil. Besonders die monotheistischen Religionen wie auch das Christentum basieren ja gerade auf der Unterscheidung zwischen den Zugehörigen (=Ingroup) und den Un- und Andersgläubigen (=Outgroup). Die eigene Gruppe wird zum Beispiel zum angeblich „auserwählten Volk“ überhöht, dem der angebliche Gott seine besondere Zuwendung verspricht. Oder zumindest in Aussicht stellt. Während alle anderen zeitlich unbegrenzte physische und psychische Bestrafung durch Höllenqualen erwartet.

Heute sind es die Fundamentalisten, die sich bevorzugt auf dieses trennende, abgrenzende Element des Christentums berufen. Während andere diesen zentralen Aspekt der christlichen Ideologie heute mehr oder weniger ganz weglassen. Was ihnen wiederum scharfe Kritik aus den eigenen Reihen einbringt. Die darin eine Bankrotterklärung des eigenen Glaubens sehen.

Papst Franziskus trägt den Titel Pontifex – Brückenbauer. Menschliche Brücken bauen zwischen Kulturen und Religionen. Das heißt hingehen und bezeugen: Ich stehe an eurer Seite. Es ist mir nicht egal, was euch passiert.

Der offizielle Titel des Papstes ist nach wie vor „Summus Pontifex“ – „Höchster Brückenbauer“. Und nicht irgendeiner. Dabei geht es nicht, wie dem Wunschbild entsprechend hier dargestellt, um Brücken zwischen Kulturen und Religionen. Sondern um Brücken zwischen Himmel und Erde bzw. zwischen Gott und Menschen.

Das hätte an dieser Stelle aber natürlich nicht so gut gepasst wie der Vermittler zwischen Kulturen und Religionen. Den Frau Eichert so gerne im Papst sehen möchte. Und als der sich dieser vielleicht sogar selbst sieht.

Brückenbauer – aus der Not heraus

Brückenbauer. Ein Titel, der ein Auftrag ist. Für den Papst wie für mich. Das wird nicht immer gelingen. Aber zumindest versuchen können wir es.

Hätte das Christentum noch genug Macht, seine Ideologie zu verteidigen, dann hätten seine Vertreter gar keine Notwendigkeit, mit anderen Religionen in Dialog zu treten. So bleibt ihnen allerdings gar nichts anderes übrig, wenn sie noch eine Weile mitspielen möchten.

Gleiches zeigt sich auch beim interkonfessionellen Dialog, der heute immer gerne als besonders große menschliche Leistung verkauft wird. Und nicht als einen unvermeidlichen Rettungsversuch, aus der großen Not der trotz milliardenschwerer staatlicher Subventionierung und Sonderprivilegierung in Selbstauflösung begriffenen Kirche heraus.

Aber besteht die eigentliche Herausforderung nicht vielmehr darin, an einer freien und offenen Gesellschaft zu arbeiten, in der jeder beliebige Glaube als Teil der privaten Freiheit Platz findet? Eine wichtige Vorausetzung hierfür ist die Säkularität, also die Trennung von Staat und Kirche.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.

Was genau meinen Sie mit „gesegnet“ ?

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.
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