Nahost in Neukölln – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 4 Min.

Nahost in Neukölln – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Lissy Eichert, veröffentlicht am 04.05.2024 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Frau Eichert berichtet von „Brückenbauern“, die sich für die Überwindung religiöser Spaltung engagieren. Als leuchtendes Vorbild präsentiert sie – Jesus.

Heute geht es um Bemühungen religiöser Gruppierungen, aufeinander zuzugehen, statt sich gegenseitig wegen unterschiedlicher Gotteseinbildungen die Schädel einzuschlagen.

Identifizierung – und Abgrenzung

Neben den an sich erstmal harmlosen identitätsstiftenden Aspekten bergen Konstrukte wie Nationalitäten oder eben auch religiöse Gruppierungen auch potentiell lebensgefährliche, auf jeden Fall aber aus gesellschaftlicher Sicht schädliche Komponenten, die der Abgrenzung, Erhöhung der eigenen Gruppe und Erniedrigung aller anderen Gruppen dienen.

Gerade monotheistische Religionen sind (wie) gemacht für diesen Zweck: Stärkung des Zusammenhalts innerhalb der „ingroup“, bei gleichzeitiger Abgrenzung und Überhöhung gegenüber der „outgroup“, also allen Nicht-Zugehörigen.

Wie gravierend negativ sich diese künstlich erzeugte Spaltung – direkt und indirekt – bis heute auf die Weltbevölkerung auswirkt, lässt sich – rückblickend und bis heute – weltweit beobachten.

Eskalation?

[…] Das Interesse an der Veranstaltung war enorm. Der Saal im Nachbarschaftshaus überfüllt. Zusammen mit einem Kollegen hatte ich die Moderation und – offen gestanden – Angst, dass die Veranstaltung eskalieren könnte.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Nahost in Neukölln – Wort zum Sonntag, verkündigt von Lissy Eichert, veröffentlicht am 04.05.2024 von ARD/daserste.de)

Das kann ich gut nachvollziehen. In Eskalationen von Menschen, die von religiösen (und/oder nationalistischen) Wahnvorstellungen berauscht auf andere Menschen treffen, die in ihrer eigenen Religion als Erzfeinde gelten, möchte man nun wahrlich nicht verwickelt werden.

Egal, ob im Nahen Osten, in Nordirland, in Neukölln – oder an vielen anderen Orten weltweit.

Bröckelnde Vorurteile

An diesem Abend trafen sich „Brückenbauer“: Frauen und Männer unterschiedlicher Herkunft stellten Projekte vor, die zeigten: Es ist so wichtig, Raum für Begegnungen von Mensch zu Mensch zu schaffen. Zum Beispiel gehen ein Imam und ein Rabbi gemeinsam in eine Schulklasse Erzählen von sich und ihrem Glauben. Die Kinder und Jugendlichen können Fragen stellen. Da beginnen Vorurteile zu bröckeln.

Hier bestätigt sich einmal mehr die These, dass Religionen umso tolerierbarer werden, je weiter sich ihre Anhänger von ihnen befreien.

Denn die Vorurteile, die es abzubauen gilt, stammen ja aus genau den „heiligen Schriften“, auf denen die jeweiligen Glaubenskonstrukte beruhen. Wenn Berufsgläubige Andersgläubigen von ihrem Glauben erzählen, dann müssen sie tunlichst vermeiden, die Stellen aus ihren „Heiligen Schriften“ zu zitieren, die Aussagen darüber machen, wie mit Un- und Andersgläubigen (was zumeist gleichgesetzt wird) zu verfahren ist.

Stattdessen bietet man, wie wir jetzt erfahren, Kurse an, in denen Kinder lernen sollen, tolerant statt fundamentalistisch zu sein:

Religiöse Entwöhnungskurse für Kinder

Eine Lehrerin der Gemeinschaftsschule Campus Rütli berichtet von ihrem Kurs „Israel/Palästina“. Viele Schüler und Schülerinnen tragen aufgrund biographischer Bezüge den Krieg mit ins Klassenzimmer. Im Kurs können sie über all das reden, was sie mit sich herumschleppen. Und erkennen: Es gibt mehr als nur eine Sichtweise. Und im arabisch geprägten Rollbergviertel von Neukölln helfen jüdische Freiwillige Kindern bei den Hausaufgaben und spielen zusammen Basketball.

Bei allen genannten Beispielen zählen religiöse Überzeugungen zu den Faktoren, die die Spaltung – direkt und indirekt – verursacht haben, die mit diesen Aktionen überwunden werden soll.

Je stärker sich Gläubige an den Fundamenten ihrer Religionen orientieren, desto weniger ist von ihnen zu erwarten, dass sie mehr als nur eine, nämlich natürlich ihre eigene Sichtweise tolerieren.

…aber Brückenbauen ist doch gut…?

Nun kann man natürlich anführen, dass es doch grundsätzlich positiv zu bewerten ist, wenn Menschen sich dafür engagieren, das religiöse oder sonstige Spaltungen überwunden werden. Das stimmt natürlich.

Aber: Dass heute überhaupt noch Kurse abgehalten werden müssen, in denen Kinder lernen, dass säkular-humanistische Werte und freiheitliche gesellschaftliche Konventionen höher angesiedelt sind als die religiösen Dogmen ihrer Eltern, halte ich aus Kirchensicht nicht für so werbewirksam, wie Frau Eichert das vermutlich empfindet, wenn sie diesen Brückenbauern eine eigene Sendung widmet.

Statt sich mit religiösen Brückenbauern zu brüsten, wäre vielmehr eine Entschuldigung dafür angebracht, eine Religion zu verbreiten, die genauso zu den Religionen gehört, deren Fundamente erst weit genug zurückgebaut werden mussten und weiter zurückgebaut werden müssen, wenn religiöse Spaltungen überwunden werden sollen.

…and no religion too

Es sind persönliche Begegnungen, die Vertrauen schaffen. Einige im Publikum outeten sich als jüdisch oder palästinensisch – und das in Neukölln. Denn vielen Palästinensern fehlt ein Raum, um offen ihren Schmerz auszudrücken, ihre Meinung zu sagen. Juden sprechen von ihrer Angst auf der Straße. Und von ihrer Sehnsucht nach einem freundschaftlichen Umgang mit Palästinensern und Arabern im Alltag.

…es könnte so einfach sein… Ohne Religion.

Deshalb ist es so wichtig zu differenzieren: Nicht jede Jüdin ist religiös, nicht jeder Israeli ein Anhänger der israelischen Politik. Nicht jede Palästinenserin ist eine Muslima, nicht jeder Moslem ist Islamist und schon gar nicht Terrorist. Dieser Neuköllner Abend zeigte: Jede und jeder kann Brücken bauen.

…wenn er bereit ist, die Aspekte seiner Religion aufzugeben, die zu Spaltung führen. Der einzig positive Aspekt dabei ist die Hoffnung, dass Religionen auf diesem Weg insgesamt weiter an Bedeutung verlieren.

Fatal hingegen ist der Umstand, dass Gläubige durch ihr Verbleiben in ihren Glaubenssystemen diese – und damit auch den Nährboden für und die Legitimierung von religiösen Fundamentalisten und Fanatikern – künstlich am Leben erhalten.

Hach! Der Jesus!

Statt der gerade schon angemahnten Entschuldigung folgt noch ein Beitrag zur Legende vom biblischen Gottessohn als leuchtendes Vorbild für Verständigung und Aufeinander-Zugehen:

Das Paradebeispiel eines Brückenbauers ist für mich – Jesus. Ein Jude. Auch zu seiner Zeit ging es nicht friedlich zu. Trotz politischer wie religiöser Tumulte hat Jesus keinerlei Berührungsängste. Weder bei der Begegnung mit der andersgläubigen Samariterin noch beim Gespräch mit dem römischen Hauptmann. In seinem engsten Kreis ist der verhasste Zöllner, der mit den römischen Besatzern kooperierte. Und sogar ein Zelot, ein Messerstecher, der die Römer mit Gewalt aus dem Land jagen wollte.

Bis heute lädt Jesus dazu ein, mit ihm über die Brücken der Nächstenliebe und der Fremdenliebe zu gehen.

Dass Frau Eichert versucht, die von ihr vertriebene Glaubenslehre irgendwie zu retten, kann kaum erstaunen. Das ist schließlich ihr Beruf, damit erwirtschaftet sie ihr Einkommen.

Allerdings entspricht diese Darstellung kein bisschen dem, was die biblischen Jesuslegenden tatsächlich über den mythologischen Gottessohn, aber auch über einen hypothetisch angenommenen historischen Jesus aussagen.

Jesus ohne Kitsch

Um Wiederholungen von Beiträgen wie diesem oder diesem zu vermeiden, hier nur ein Zitat aus einem früheren Beitrag zu diesem Thema:

Zu der Diskrepanz zwischen A) der Kitschversion des Gottessohns, wie sie heute im christlichen Mainstream verbreitet (und vermutlich sogar geglaubt) wird, B) des biblischen Romanhelden Jesus Christus und C) eines möglicherweise realen Menschen, dessen Biographie für die Erschaffung dieser literarischen Kunstfigur gedient haben könnte und darüber, warum Jesus sich überhaupt mit Benachteiligten auseinandergesetzt hatte habe ich inzwischen schon so oft und ausführlich geschrieben, dass ich es diesmal mit einem Verweis auf das Buch „Jesus ohne Kitsch – Irrtümer und Widersprüche eines Gottessohns“ von Heinz-Werner Kubitza belasse.

(Quelle: https://www.awq.de/2023/07/die-da-oben-das-wort-zum-wort-zum-sonntag/)

Die Brücke von Religion zu Menschlichkeit

Und falls Sie Lust haben, morgen mal über eine neue Brücke zu gehen, könnte der Sonntag für ganz viele zu einem Brückentag werden.

Wie wärs, mal den Weg über die Brücke einzuschlagen, die von religiöser Ideologie hin zu Mitmenschlichkeit führt? Von falschen Jenseits-Versprechungen ins Diesseits, von Göttern zur Mitmenschen?

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9 Gedanken zu „Nahost in Neukölln – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Anmerkung zu „A) der Kitschversion des Gottessohns“: Hier ist eigentlich der Plural angebracht. Eigentlich auch bei B), denn auch dort werden dank raffiniertester Hermeneutiken ganz verschiedene Jesusse zusammengeschwurbelt.
    Dass aber dieser Jesus Vorbild als Brückenbauer sein soll, widerspricht seinen fundamentalsten Asussagen wie z.B. „wer nicht für MICH ist, ist GEGEN mich“ oder „wer an MICH glaubt, wird …“.
    Es ist doch gerade die Figur des Jesus, die die 3 monotheistischen Religionen ganz fundamental spaltet: Gott, Prophet oder Gotteslästerer ? Ja selbst innerhalb des Christentums hat das Verständnis vom „Gottessohn“ schon zu blutigen Konflikten geführt.
    Immerhin scheint Fr. Eichert schon einen begrüssenswerten Schritt zum Abfall vom Glauben getan zu haben, indem sie diese Biebelstellen ignoriert. Es bleibt allerdings zu bezweifeln, dass das nachhaltig und für andere nachvollziehbar ist. Schließlich darf man an der Heiligen Schrift kein Jota ändern.
    Um mal in der Metapher zu bleiben: statt Brücken zu bauen, sollte man besser die Gräben zuschütten !

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  2. Da es sich bei der Veranstaltung offensichtlich nur um die 3 abrahamitischen Religionen handelt, braucht man auch nen gemeinsamen Nenner/Propheten.
    Erst aufzählen, was Religion kaputt macht und dann schnell, aus dem Hinterhalt, JESUS als Käseglocke über die Sache stülpen!

    Ist das jetzt dumm, berechnend oder pure manipulative Bosheit?!

    Ich denke, eher ist es der „moderne evangelische Glaube“, bei dem sich jeder seinen persönlichen „Kuscheljesus zum universellen liebhaben“ selbst vorstellt.

    Aber für was brauchts, den künstlichen Überbau eigentlich, wenns auch ohne erst recht funktioniert?

    Man folge der Spur der Schafe, die gemeinsam zur Molkerei laufen, dann ihr Vlies scheren lassen, und dann meinen, der Hirte welcher sie zur Schlachtbank treibt, wäre nur zu ihrem Schutz da…

    (In meinem „Kopfwalkman“ läuft grade Depeche Mode, verdammt!)

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  3. Lissy Eichert schreibt: „Nicht jede Jüdin ist religiös, … Nicht jede Palästinenserin ist eine Muslima …“ (Männer wohl mitgemeint).
    Impliziert sie damit nicht gleichzeitig unbewusst, dass das religiöse Element im Menschen den Dialog verhindert, zumindest aber erschwert?
    M. E. ein Eigentor.

    Das Einzige, was wirklich helfen würde, wäre der Ansatz, den Daniel Barenboim und Edward Said mit dem säkularen West-Eastern-Divan Orchestra umgesetzt hat.
    Was nicht verwundert, ist, dass diese israelisch-palästinensische Kulturveranstaltung von den Religiösen beider Seiten abgelehnt oder sogar bekämpft wird.
    Aber nur so besteht eine Chance, nachhaltig Frieden im Nahen Osten zu erreichen.
    Das werden wir allerdings in diesem Jahrhundert wohl nicht mehr erleben.
    Nur nebenbei: Barenboim ist der einzige Mensch auf der Welt, der gleichzeitig die israelische wie die palästinensische Staatsbürgerschaft besitzt.

    Und immer wieder dieses Märchen vom friedlichen und freundlichen Jesulein.
    Frau Eichert kann nur froh sein, dass es nur wenige Menschen gibt, die die Bibel kennen und auch kritisch lesen. Ich sage nur: Markus 16,16.

    Also der ganze Monolog wieder nur im Zeichen religiöser Propaganda.
    Schade um den vergeudeten Gehirnschmalz und die vertane Lebenszeit.

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  4. Ich finde es ja schon mal schön, dass Frau Eichert erkennt, dass das liebe Jesulein Jude war und mit dem Christentum überhaupt nichts zu tun hat.
    Übersetzt bedeutet dieses Geschwätz nichts anderes, als dass Religionen immer die Ursache oder Teil des Problems und niemals die Lösung waren.
    Es grenzt schon an völligen Realitätsverlust, hier einen geisteskranken Endzeitspinner als Lösung anzubieten. Dabei liegt die Lösung so nahe und drängt sich förmlich auf: Freiheit von Religion.

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      • Die Theorie, dass der biblische Jesus psychisch krank gewesen sein könnte, existiert in der kritischen Bibelforschung tatsächlich, als plausible Erklärung der religiös-fundamentalistischen Wahnvorstellungen.

        Auch in Bezug auf andere Glaubensmänner legen die Beschreibungen nahe, dass psychische Erkrankungen oder oft auch Epilepsien mögliche bzw. wahrscheinliche Ursachen für alles Mögliche gewesen sein könnten, was dann zu göttlichen Zeichen usw. umgedeutet wurde.

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        • Auch nicht unbegründet: Drogen ! wie z.B. bei Hildegard von Bingen, von der man mit Recht annehmen kann, dass sie in ihrer „Apotheke Gottes“ (Ratzinger) auch Halluzinogene vorrätig hatte, und davon genascht hat.
          Und noch was: ist schon mal jemand aufgefallen, dass ER und sein Anhang lt. NT niemals für Unterkunft und Verpflegung irgendwas bezahlt oder gearbeitet haben ? Oder kennt jemand eine entsprechende Stelle ?

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  5. Aus dem Programm: https://www.neukoelln-plus.de/2024/04/10/einladung-nahost-in-neukoelln-wie-koennen-wir-nach-dem-7-oktober-bruecken-bauen/

    Wir möchten auf der Veranstaltung eine freundliche, offene Gesprächsatmosphäre schaffen!
    Die Bürgerstiftung behält sich vor, Personen, die antisemitische, antimuslimische oder andere rassistische, menschenverachtende Äußerungen tätigen, von der Veranstaltung auszuschließen. Dazu gehören auch:
    – beleidigende oder abwertende Kommentare oder Verhaltensweisen
    – Persönliche oder politische Angriffe auf Podiumsgäste oder Veranstaltungsteilnehmer*innen
    – Fotografieren oder Aufnehmen von Teilnehmenden der Veranstaltung ohne deren Zustimmung.
    Wir freuen uns über einen guten Austausch!

    Frage an Frau Eichert: Wie groß war das Polizeiaufgebot?

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  6. „oft auch Epilepsien mögliche bzw. wahrscheinliche Ursachen für alles Mögliche gewesen sein könnten“

    Dann war der BREAKDANCE gar keine Erfindung der 80er Jahre, sondern nur ne massive Anhäufung von Fehldiagnosen!?! 🙂

    Sorry, der musste grad raus…

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